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Alte Völklinger Eisenhütte


ARCHIV: Dieses Angebot aus der Frühzeit des Webs wurde in Forschungprojekten an der Universität des Saarlandes in den Jahren 1995 bis 2000 erstellt und wird nicht mehr aktiv betreut. Die Angaben auf dieser Website sind daher grösstenteils veraltet.

Saarbrücker Zeitung vom Mittwoch, 3. Januar 1996

Ein "Erzengel" schleppte sechs Tonnen Erz pro Tag

Frauen waren für "Völklinger Eisenwerk" billige Arbeitskräfte: 2,50 Mark für zwölfstündige Schicht

Von SZ-Mitarbeiter HUBERT KESTERNICH

Mit Beginn der Roheisenerzeugung auf der Völklinger Hütte am 13. August 1883 am Hochofen I wurde das dazu notwendige Erz auf Schiffen von den lothringischen Erzgruben zur Abladestelle nach Völklingen transportiert. Die Abladestelle befand sich neben dem Treidelpfad auf der rechten Saarseite zwischen der Maschinenfabrik und der Absorptionsanlage, gegenüber der Wehrdener Grabenstraße und dem Kraftwerk.

Anfangs erfolgte der Erztransport von der Abladestelle zu den Hochöfen mit Pferdefuhrwerken. 1884 wurde eine Schmalspurbahn gebaut und der Lokomotivverkehr eingeführt.

Nicht nur in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die Frauen und Mädchen schlechter bezahlt als die Männer. Die Frauen waren für das "Völklinger Eisenwerk Gebrüder Röchling" billige Arbeitskräfte. Während ein Vollarbeiter vor hundert Jahren in einer zwölfstündigen Schicht 3,55 Mark auf der Völklinger Hütte verdiente, erhielten die "Erzengel" für ihre Schwerstarbeit 2,50 bis 2,80 Mark, also etwa ein Drittel weniger.

Für den Zeitraum von 1886 bis 1889 liegen Zahlen über die entladenen Schiffsladungen vor. Danach wurden von 1656 Schiffen in vier Jahren rund 289000 Tonnen Erz und Bausteine entladen. Bei 25 Schichten zu zwölf Stunden, davon zwei Stunden Pause, wurden so 241 Tonnen pro Tag entladen.

Von den technischen Möglichkeiten ausgehend, konnten etwa 40 Frauen und Mädchen gleichzeitig die Entladestege zwischen Saarkränen und Kipploren begehen. Ein "Erzengel" mußte somit rund sechs Tonnen Erz pro Schicht in Körben - auch "Bätsche" genannt - auf dem Kopf tragen.

Die Arbeit war gefährlich

Bei einer zu tragenden Last von 30 bis 35 Kilogramm pro "Bätsche" mußten die Mädchen zwischen 170 bis 200 Mal den Korb in die Kipploren entladen. Daß diese Tätigkeit neben der schweren Arbeit auch gefährlich war, geht aus Berichten der Südwestdeutschen Eisen-Berufsgenossenschaft hervor.

So wurde der Hermine Altmeyer bei einem Unfall am 14. Januar 1886 die rechte Hand überfahren und erheblich beschädigt. Sie konnte die Arbeit danach nicht mehr ausüben und bekam am 12. Mai 1886 eine dauernde Rente bewilligt. Der 16jährigen Anna Kappel aus Fürstenhausen mußte nach einem Unfall 1887 das Bein amputiert werden. Insgesamt sind 380 Frauen bzw. Mädchen registriert, die beim Erzabladen und am Hochofen I tätig waren.

Einige davon nahmen die Arbeit mehrmals auf. Die meisten Mädchen und Frauen waren zwischen 15 und 21 Jahre alt und kamen aus den benachbarten Orten. Viele stammten aus Püttlingen und Hostenbach. Aber auch aus der Pfalz und von der Mosel kamen Arbeiterinnen nach Völklingen zur Arbeit.

Mit der Einführung eines Dampfkranes der Firma "Mohr und Federhaff" 1899, ging die Tätigkeit der "Erzengel" in Völklingen zu Ende.

Völklinger Erzengel beim Abladen von Lastkähnen. Die Aufnahme wurde um 1898 gemacht.
Repro: Kesternich